Montag, 19. Mai 2008

Eine Kunst

Von ferne stehn, wenn die andern sich freun,
und doch zufrieden und fröhlich zu sein.
Selbst mühsam wandelnd auf dornigem Pfad,
dem Nächsten dienen mit selbstloser Tat.
Im Schatten leben, der Sonne fern,
und doch dem anderen leuchten als Stern.
Das ist eine Kunst, die nur der versteht,
dem Himmelsluft durch die Seele weht.

Im tiefsten Tale des Leidens stehn
und doch um Glück für andere zu flehn.
Voll Treue erfüllen die heiligsten Pflichten
und gern auf eigene Wünsche verzichten.
Ein heimliches Kleinod im Herzen tragen,
aber weil Gott es will ihm entsagen.
Das ist eine Kunst, die nur der versteht,
der täglich die Kraft sich von oben erfleht!

Selbst unverstanden durchs Leben gehn,
doch liebreich bestrebt sein, den Freund zu verstehn.
Wenn bittre Gedanken im Herzen aufsteigen,
sich tapfer bemühen sie keinem zu zeigen.
Viel Ungerechtigkeit sehen auf Erden
und doch am Glauben nicht irre zu werden.
Die Kunst zu üben täglich aus neue,
dazu gib Herr, mir viel Kraft und viel Treue!

(Luise Rolf)

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